Auf der Stelle aus der Stille

Aus Weiß wachsen. Striche. Schwünge. Die sich herauskehren. Die nicht aufhören. Die sich ausdünnen. Ineinandergehen. Miteinander. Durcheinander. Verharren. Wieder zurückgehen in die Helle. Aus der die Farben kommen. Die Gedanken. Die Idyllen. Die Phantasien. Die Nachdenklichkeit. Wo Daneben und Daneben sich vereinen. Verschwimmen. Gedeihen. Zart. Füllig. Umarmen. Eindringen. Skizzieren.
„Auf der Stelle aus der Stille“ heißt die neue Ausstellung der Künstlerin Ingrid Luschin, die bis zum 3. April 2021 in der Galerie M in Klagenfurt zu sehen ist.

„Stimmung, Gefühl, Erlebtes, was einen förmlich hingerissen hat in seiner Intensität, Erlebnisse mit Menschen, Tieren, Natur, aber auch Gelesenes und in anderer Form Aufbereitetes, Transformiertes“ machen Luschins „Herantreten an die Weiße Fläche“ aus.
Das Ergebnis ist sinnige Kunst einer authentischen Künstlerinnennatur, die auch Nährboden für das Ausstellungsthema („Auf der Stelle aus der Stille“) ist. Wie aus der Stille enttauchte die Idee dazu einer Erinnerung des Galeristen Klaus Oberhammer, der vor Jahren schon zum unvergesslichen Erleben von Luschins Bildern kam. Und was ihn nicht loslässt, lässt er anschauen. Die Ausstellung als Ergebnis des Zufalls einer Wiederbegegnung.

„Der wunderschöne Titel der Ausstellung geht auf den Galeristen zurück. Er bezieht sich auf die Wahrnehmung meiner Person, meiner Körperhaltung, der Gestik während unserer Unterhaltungen. Er spiegelt seine große Affinität zum Wort, zur Sprache.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Für die Klagenfurter Künstlerin – Absolventin der Akademie der Bildenden Künste in Wien – spielt auch die Körperlichkeit, die Verkörperung eine Rolle. So in schaffender wie auch in reflexiver, sich auf der heraustretenden Fläche wiederfindenden Form.

„Meine Malerei hat viel auch mit Körperlichem zu tun. Mit der Positionierung meiner selbst auf den zumeist großen Bildflächen. Mit der Wahrnehmung der gesetzten Pinselstriche. Mit der Wahrnehmung dessen, was eine horizontale, vertikale Linie – gesetzt in die Bildfläche – mit einem macht. Die Formen selbst, die Stellen im Bild, welche bearbeitet sind und welche nicht, sind sehr bewusst gesetzt und bearbeiten, fordern einen.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Das scheinbar Leere – wie ein Atem des Bildes – bestärkt das, was da ist. Fügt sich ins Ganze. Komplettiert Selbiges. Dass nicht alles da zu sein scheint – prima vista – regt die Betrachtungen an. Zum Eintauchen. Zum Mitleben. Zum Warten. Ein vielsagendes Schlicht, wie passend in die Fastenzeit.

„Wir sind in der Fastenzeit und ich wollte auch sehr reduzierte Arbeiten zeigen. Neben den sehr dicht erfahrbaren. Aus der Stille. Das meint auch so etwas wie den Inspirationsraum. Der Raum, wo alles herkommt. Aus der Stille kommt, entsteht beim Arbeitsprozess etwas. Ganz natürlich. Auch spielerisch.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

In der Ausstellung finden sich in Wien geschaffene Werke neben in Kärntner Sommern entstandenen Bildern. Darunter auch welche aus Zeiten ihres Kunststudiums. Das Zueinanderbringen ist zwar nicht immer einfach, aber es funktioniert.
Sie thematisieren den Menschen, die Natur, erlebte Geschichten, verdichtete Augenblicke, Abstrahiertes. Essentielle Inhalte ihrer Motive. Luschin betont „das Verarbeiten, Transformieren von für mich Wichtigem, sich mir aufdrängenden Erlebnissen. Die Beschäftigung mit spirituellen Orten, die ich besuchte.“

„Ist das Leben nicht auch eine Abfolge von Sekunden, Minuten, Stunden und deren Wahrnehmung und Verarbeitung? Und dann plötzlich ist alles anders in seiner Präsenz, seiner Vergegenwärtigung in uns erneut.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Ein dünner, zarter Strich. Eine geschwungene Bewegung. Eine Ausweichung. Eine Hinneigung. Ein Tanz. Ein Stehen. Eine Ausbreitung – im Wortsinn. Komponenten zu einem Ganzen. Sie machen die Bilder Luschins zu berührenden Welten aus fragilen Komponenten. Die sich gleichzeitig ins Helle verlieren, wie sie aus ihm herauskommen.
So sich die Menschen mit ihrer individuellen Betrachtungsweise auf diese Welten einlassen, enbehre es einer universell vorgestellten Kunstbotschaft.

„Jeder sieht doch etwas Anderes darin. Auch wenn ich die Geschichte um die Entstehung des Bildes erzähle. Die Wahrnehmung ist eine sehr subjektive, da jeder andere Erlebnisse und andere Interpretationen hat. Das ist gerade das Spannende an Kunstwahrnehmung.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

In Anlehnung an Hans Georg Gadamer, der Kunst als „Spiel“, als „Symbol“, als „Fest“ reflektiert, beschreibt Luschin das „Heilende“, die „Suche nach der verlorenen Einheit“, als einen wesentlichen Faktor ihres Schaffens. Die Zerrissenheit der Gesellschaft, die Irritation vor diversen Entwicklungen, die Uneinigkeit vor dem, was man ist und dem, was man idealer Weise zu sein hätte, sind Bruchstücke, die Verbindendes suchen.
In Vergegenwärtigung des von Joseph Beuys geprägten Begriffs der „sozialen Plastik“, sieht sie die Auseinandersetzung der Kunst mit der eigenen Natur und das stets nötige Friedenschließen mit derselben, als Kernaufgabe der Kunst, um „das Denken, das Fühlen, den Rhythmus wieder zu finden.“

„Kunst vermag in ihrer geistigen Dimension, in ihrer Ablösung von rein dekorativen bzw. repräsentativen Aufgaben, tatsächlich Freiräume zu eröffnen. Orte der Reflexion. Womit wir wieder bei der Stille sind. Und auf der Stelle sind dann aber Gebilde, welche einen ganz schön aufrütteln in ihrem Dasein.“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Auch wenn das Erlebnis der Bilder einer Ausstellung keinen Leitfaden braucht, ist es für Luschin essentiell, über das Erlebte zu sprechen. „Das Wichtigste ist Kommunikation. Ich selbst beobachte mich so oft dabei, wie ich je nach Tagesverfassung, je nach Lichtverhältnissen, selbst durch die Bilder meine Wahrnehmung verändere. An manchen Tagen sehe ich gar nichts, bin blind. Deshalb ist es so wichtig, offen zu bleiben.“

„Ein Bild gibt einem ja alle möglichen Herausorderungen. Durch die ersten gesetzten Striche, Farben. Und auch diese haben ihr Eigenleben und fordern zur Reaktion. Nicht gleich alles löschen, was irritiert. Eine Forschungsreise antreten!“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Jeden Samstag um 11:00 (während der Ausstellungsdauer bis zum 3. April), steht Luschin für Gespräche mit den Besuchern bereit. Der Austausch ist für sie sehr wichtig, um zu sehen, „was allgemein mehr, was weniger verstanden wird.“ Ein Kunstwerk ist Zeit. Ein Kunstwerk braucht Zeit. Beim Entstehen. Beim Wachsen. Beim Betrachten. Beim Erleben. Es ist mehr als ein Stil. Mehr als ein Preis. Mehr als die Striche und Farben. Mehr als Geschmackskomponenten und Feuilleton-Kritik. „Ein Spiegel ist’s doch allemal!“

„Die Kunst ist ein Spiegel. Jeder ist ein Kind seiner Zeit, kann nicht anders sein. Aber er kann sich durch diesen Spiegel selbst sehen und sich fragen: Was jetzt? Das hat gerade mit diesem Wesen der Kunst zu tun. Das Wahre, das Schöne, das Gute – sich daran zu Reiben an den alten, ehrwürdigen Begriffen. Jetzt gerade in der Krise, hinter den FFP2-Masken versteckt, ist das unverhüllte Sein. Kunst, die eben ein Seiendes zu schaffen vermag. Unverfälscht. Ohne Kalkühl, ohne Schutz und ohne Rücksicht. Sie ist Erinnerung an Leben in seiner Vollheit, Überfluss, seinen Reichtum an Erfahrungen, die gerade das Kunstwerk entstehen lassen. Kunst entsteht oft aus persönlichen Krisen. Aus einem nicht Auskommen. Einer Antwort. Dem Versuch, einen Dialog neu zu erfinden. Eine neue Sprache zu finden. Die Kunst ist Raum, Schutzzone, Labor, Ort der Stille. Um dann weiter zu gehen. Sie erfüllt, um den Alltag transformiert neu gestalten, neu begreifen zu können – zu dürfen. Die Kunst, die Unnütze – sie nutzt so sehr!“
(Ingrid Luschin, Künstlerin)

Die Ausstellung „Auf der Stelle aus der Stille“ von Ingrid Luschin ist noch bis 3. April 2021 in der Galerie M in Klagenfurt zu sehen. Jeden Samstag um 11:00 gibt es die Möglichkeit zum Austausch und regen Diskurs mit der Künstlerin.

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