Die Violinistin Susanne Hehenberger ist Konzertmeisterin der Sinfonietta da Camera Salzburg – ein Orchester, das sich nicht nur Mozart und seiner Zeit annimmt, sondern auch Pfade darüber hinaus sucht und findet. Sie ist auch Artistic Team member beim nexTus festival. Ein Veranstaltungsprojekt, das in Zeiten der geschlossenen Konzertsäle neue künstlerische Umsetzungs- und Erfahrungsmöglichkeiten aufmacht. Im KULTURTODATE-Interview erzählt sie darüber. Außerdem über die tiefe Bedeutung der Musik und von der essentiellen Wichtigkeit sich mit und über Kunst auszutauschen.
Was ist „nexTus“ und wie kam es zu dieser Idee?
Hehenberger: „Die Idee zum nexTus-Festival entstand in der Be Your Own Manager Academy. Das ist eine Gemeinschaft aus (hauptsächlich) Musikerinnen und Musikern, die den Kurs Be your own Manager bei Bernhard Kerres absolviert haben oder gerade dabei waren, ihn zu absolvieren. Durch die Pandemie und den daraus resultierenden Lockdowns in aller Welt, entstand die Academy, um Musikern die Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden, nicht in Schockstarre zu verharren und zu lernen, sich selbst zu managen. Nicht zuletzt: sich weiterführend zu vernetzen. Die Gemeinschaft wuchs und wächst stetig. Der Gedanke, ein Festival mit Mitgliedern als Ausführenden zu kreieren, war eine logische Folge unserer Zukunfts-Diskussionen. Dass es ein online-Festival geworden ist, ist aus den Umständen erwachsen, die uns noch nicht erlaubten, uns zu treffen – geschweige denn zu reisen. Das artistic team, dem ich angehöre, sind 9 Personen, die sich noch nie persönlich getroffen haben, ausschließlich online miteinander kommunizieren und in 6 Ländern auf 2 Kontinenten leben.“
Welche Idee steckt hinter dem Festival?
Hehenberger: „Wir wollen klassische Musik auf innovative Weise online präsentieren, durch unsere Kunst mit dem Publikum in Verbindung treten und gemeinsam eine neue Zukunft schaffen. Unser Wunsch ist es vor allem, durch offene Gespräche aktiv mit unseren Zuschauern in Kontakt zu treten. Wir möchten ein sicheres Umfeld kreieren, in dem Ideen darüber ausgetauscht werden können, was Musik, Kunst und Kreativität für jeden Einzelnen bedeuten! Der Titel besteht gleichzeitig aus dem Wort Nexus – das Verbindung oder Zentrum bedeutet – und dem Ausdruck Next Us, weil wir in die Zukunft schauen und nach der bestmöglichen Version von uns selbst und der Welt der klassischen Musik streben. Unser neues Festival ist stark von unserer Lovemark beeinflusst – drei Worte, welche die Be your own Manager (BYOM)-Community, aus der das Festival hervorgegangen ist, zusammenzufassen: Verbindung – Inspiration – Innovation.“
Was steht bei Ihrem nexTus-Auftritt auf dem Programm?
Hehenberger: „Mein Video wurde eigens für das nexTus Festival kreiert. Es ist WILHELM, eine Silent Opera für Violine, Klavier, Electronics und Moving Hands. Die Geschichte basiert auf der Novelle Das Spiel im Morgengrauen von Arthur Schnitzler. Mein Kollege, sehr guter Freund und künstlerischer Leiter der Sinfonietta Da Camera Salzburg, Peter WesenAuer hat die Musik und das Konzept geschrieben. Er spielt sowohl den Klavierpart, als auch die Electronics, hat die Aufgaben des Regisseurs, Kameramanns, Tontechnikers, Aufnahmeleiters übernommen und das Video fertiggestellt. Für die Moving Hands konnten wir den Salzburger Schauspieler, Pantomimen und Feldenkrais-Lehrer Christian Sattlecker gewinnen.“
Was ist die wichtigste Botschaft Ihrer Kunst ?
Hehenberger: „Freude zu vermitteln, aber auch zum Nachdenken anzuregen und Diskussionen auszulösen.“
Was bedeutet Ihnen Musik? Was war für Sie der ultimative Auslöser, sich damit zu beschäftigen?
Hehenberger: „Meine Mutter hat dafür gesorgt, dass meine beiden Brüder und ich schon sehr früh sowohl ein Instrument lernen durften als auch im Turnverein aktiv waren. Meine Instrumente waren Geige und Klavier. Mit der Geige durfte ich bald im Schulorchester und im Musikschulorchester mitwirken. Das hat mich jeweils sehr fasziniert und die Liebe zum Instrument und zum Musizieren mit anderen gemeinsam erweckt. Bald war klar, dass die Musik meine Berufung ist und zu meinem Beruf werden soll.“

Gibt es Lieblingsmusik?
Hehenberger: „Es gibt viele, die mich sehr faszinieren. Aber schlussendlich lande ich immer wieder bei Mozart. Seine Musik berührt, regt auf, beruhigt und passt für jede Stimmungslage. Speziell seine Oper Così Fan Tutte würde ich als Lieblingsoper nennen, wenn es denn eine Lieblingsmusik geben kann.“
Welcher Komponist ist für Sie zu unrecht unterschätzt?
Hehenberger: „Meines Erachtens gibt es in meiner Welt, also in der Welt der sogenannten klassischen Musik sehr viele, zu Unrecht unterschätzte Komponistinnen und Komponisten. Das sind zum einen die – leider noch zu wenig – wiederentdeckten komponierenden Frauen. Wenn man in diese Welt eintaucht, entdeckt man einen unglaublichen Schatz an bislang ungehörter und spannender Musik. Zum Beispiel Teresa Carreňo, nach der mein Streichquartett benannt ist. Sie war eine Virtuosin am Klavier und als Komponistin. Zum anderen sind es die Komponisten der sogenannten amerikanischen Unterhaltungsmusik der 20er-, 30er- und 40er-Jahre. Sozusagen das gesamte Inhaltsverzeichnes des Great American Songbook. Die unglaubliche Kreativität dieser Komponisten und Texter bzw. Texterinnen ist fantastisch. In jeder einzelnen Nummer steckt eine gar nicht so unkomplizierte Harmonik. Leider kennt man nur eine Handvoll dieser Songschreiber, wie Cole Porter, Richard Rodgers, Irving Berlin oder George Gershwin. Aber wer kennt schon einen Victor Scherzinger, Milton Ager, Cy Coleman, Sammy Fain oder Jimmy Van Heusen? All diese Menschen haben es verdient nicht vergessen zu werden. Das ist auch der Grund, warum Peter WesenAuer und ich in unserer Corona Concerthall die Reihe The Great American Songbook von A – Z gestartet haben.“
Als Konzertmeisterin der Sinfonietta da Camera Salzburg: Was ist das Besondere an diesem Ensemble? Welches Repertoire wird gepflegt?
Hehenberger: „Wir sind ein Kern von ständigen Mitgliedern, alten Hasen und Studenten – also bunt gemischt. Wir laden auch immer neue Musikerinnen und Musiker ein. Unser Klang ist geprägt von unserem Chefdirigenten Peter WesenAuer, der es versteht, mit wenigen Worten und Gesten genau seine Vorstellungen umzusetzen. Unser Repertoire umfasst Werke von Mozart, Haydn, Beethoven, Sally Beamish, Gustav Mahler, Werner Pirchner aber auch Oper und Operette bis zu zeitgenössischer Musik. Seit 2006 sind wir das Orchester in Residence des Salzkammergut Mozartfestivals bzw. bei Hallstatt Classics /The Sound of Hallstatt. Wir wagen uns auch auf neue Wege mit der Begleitung zu Stummfilmen wie Nosferatu, eine Symphonie des Grauens, von 1922 zu dem Peter WesenAuer die Musik von Hans Erdmann rekonstruiert hat. Ebenso arbeiten wir mit Schauspielern wie Adele Neuhauser, Christian Dolezal oder Oliver Karbus zusammen. Zum Beispiel in den Produktionen Shelomo (das Lied der Liebe) oder Plötzlich Shakespeare (nach dem Roman von David Safier). Jeweils mit der Musik von Peter WesenAuer.“

Warum ist es wichtig, über Kunst zu sprechen und sich mit den Menschen darüber auszutauschen? Welche Erfahrungen haben Sie damit?
Hehenberger: „Kunst kann viel mehr als schön sein und unterhalten. Kunst aktiv zu erleben, fördert die Kreativität, aktiviert das Gehirn und macht glücklich. Ich wage zu behaupten, ohne Kunst wird es nicht nur still, sondern auch finster. Ohne Kunst stirbt die Welt. Viele sind der Auffassung: „Kunst soll…“, „Kunst muss…“, etc. Das sehe ich ein wenig anders: Kunst darf oder soll keine Aufgabe haben; Kunst steht für sich selbst und darf auch niemals für etwas anderes verwendet werden als für Kunst. Klingt etwas eigenartig, aber so ist es! Gerade in der Zeit der Lockdowns und Einschränkungen hört man ja immer wieder: die Kunst- und Kulturbetriebe müssen noch geduldig sein und warten, wir müssen erst die Wirtschaft wieder nach oben bringen. Da frage ich mich dann schon: worauf warten? Warten bis Kunst wieder eine Berechtigung hat damit sich die Wirtschaftsbosse und Politiker bei den Sommerfestivals zeigen und mit den Stars am „Roten Teppich“ fotografiert werden können und um zu zeigen: seht her, wir können uns die teuren Festivals, Konzerte, Opernaufführungen, Gemälde, Skulpturen, Theaterproduktionen etc. leisten. Kunst ist ein Grundbedürfnis und muss für jede und jeden zugänglich und leistbar sein.“
Welche ist die beste Antwort der Kunst auf die „Krise“?
Hehenberger: „Weitermachen, nicht still bleiben, sich zusammenschließen, vernetzen und gegenseitig unterstützen, eine Lobby aufbauen, neue Formen finden – wie zum Beispiel Streamen, Aufnehmen. Wobei das eigentlich nicht neu ist. Aufzeichnungen von Konzerten/Opern – oder Theateraufführungen gibt es, seit es Fernsehen bzw. Radio gibt. Neue Kanäle erschließen und dadurch neue Formate und sogar neues Publikum finden. Noch nie war es so einfach, die eigene Musik in die Welt zu schicken, wie jetzt.“
Was wünschen Sie sich (als Künstlerin) für die Zukunft?
Hehenberger: „Ich wünsche mir, dass die Kultur nicht nur als Renommee wichtig ist – speziell in einem Land, das sich als Kulturland bezeichnet und mit diesem Begriff in aller Welt wirbt. Ich wünsche mir, dass sie tatsächlich wichtig und ernst behandelt wird. Es schmerzt, wenn in diversen Pressekonferenzen und Presseberichten über Pandemie Maßnahmen die Kultur nicht einmal einer Erwähnung wert ist.“
Alle Videos der nexTus-Performances sind noch bis einschließlich 22. Mai verfügbar.
Man kann auch noch alle Arten der Karten erwerben (Daypass, Weekendpass und Festivalpass). Ebenso kann man auch noch für die Kickstarterkampagne spenden und das nexTus-Projekt damit unterstützen: https://www.kickstarter.com/projects/nextus/nextus-festival?ref=project_link
Beitragsbild: Susanne Hehenberger an der Violine am Plakat zu Wilhelm